Gedankenexperiment „ReLIFE“

Durch einen Gästepass für Crunchyroll habe ich mir doch mal wieder die Zeit genommen und ein paar Anime geschaut. Darunter auch der Anime ReLIFE, der ein durchaus interessantes Gedankenexperiment als Thema hat.
Das Grundprinzip ist ganz einfach: Es ist ein einjähriges Experiment. Man nimmt eine Pille ein und schon sieht man wieder wie ein Oberschüler (Sekundarstufe II) aus. Es wird Unterhalt gezahlt und sogar die Aussicht auf einen Job besteht nach dem Jahr. Da sich das Experiment in erster Linie an NEETs richtet, die im Prinzip nichts zu verlieren haben, klingt das schon beinahe zu gut, um wahr zu sein, oder?

Die Pille die es möglich macht, sein Leben neu zu beginnen

Die Pille die es möglich macht, sein Leben neu zu beginnen

Selbstverständlich verlangt die Firma, die dieses Experiment finanziert, auch einiges vom „Subjekt“ ab:

  1. Teilnahme am Unterricht zur Eingliederung in die Gesellschaft (Da es sich um eine ziemlich schwere Schule handelt beginnt hier schon die Herausforderung – besonders, da man im letzten Jahr einsteigt, wo jeder mit Prüfungen beschäftigt ist und die Cliquen alle schon ziemlich abgegrenzt sind)
  2. Absolutes Schweigen über ReLIFE und damit auch eine Abkopplung von allen Bekannten und Freunden des früheren Lebens für die Dauer des Experiments
  3. Aufgeben der Privatsphäre, da man quasi-ständiger Überwachung (und Betreuung durch sogenannte Supporter) ausgesetzt ist
  4. Nach dem Jahr wird man wieder zurückverwandelt und alle, die man in dem Jahr kennengelernt hat, werden einen vergessen (die Firma sorgt dafür)

Das Ziel des Experimentes: Die gesellschaftliche und berufliche Wiedereingliederung des Subjektes.

So weit so gut. Bisher doch eigentlich nichts schlimmes dabei, oder? Dafür, dass man sein Leben neustarten und seine Softskills weiterentwickeln kann (soll), ist das doch eigentlich eine recht kurze Liste. Doch wie sagt man so schön? Der Teufel steckt im Detail. Die Firma ist zwar sehr zuvorkommend mit den Unterhaltszahlungen und allem drum und dran, aber das wichtigste kann man nicht mit Geld lösen: Zwischenmenschliches.

Was ist, wenn man sich in dem Jahr zu stark in eine Gruppe integriert? Ein plötzliches Herausreißen kann dann schnell zu Problemen führen… Oder schlimmer noch: Was ist, wenn man sich in dem Jahr verliebt? Auch das ist ein Thema in dem Anime/Manga und stellt den Protagonisten vor beinahe unmögliche Entscheidungen. Zurecht! Denn zum einen ist man deutlich älter als die echten Oberschüler, zum anderen wird man sowieso wieder vergessen werden. Und da beginnt das Dilemma. Was löst sowas bei den Menschen aus, mit denen man in dem Jahr viel Zeit verbracht hat? Besonders mit den Liebsten würde man natürlich viel Zeit verbringen… Doch … Dadurch würde man ihnen beinahe das gesamte Jahr an Erinnerungen rauben. Das stelle ich mir furchtbar vor. Das Subjekt behält seine Erinnerungen und weiß über alles Bescheid (sonst hätte das Experiment keinen Sinn, da man alles vergessen würde, was man in dem Jahr dazu gelernt hat), doch umso erfolgreicher sich das Subjekt in seine Umgebung eingliedert und damit die Erinnerungen seiner „Mitschüler“ prägt, umso mehr würden die eigentlich Unbeteiligten dann vergessen.

Ich denke darüber aktuell tatsächlich sehr viel nach, einfach nur, weil ich die Idee, trotz der großen Nachteile, großartig finde. In unserer beschleunigten Gesellschaft gibt es oft einfach keinen Platz für Menschen ohne einen perfekten Lebenslauf (auch, wenn dieses Problem in Japan deutlich präsenter ist als hier in Deutschland), doch stellt sich die Frage, ob so ein doch sehr merkwürdiges Jahr bei einem Menschen eine Besserung bewirken würde…

Wer sich übrigens fragt, wie man so etwas nach der Forschung in der wirtschaftlichen Realität bezahlen soll, der braucht sich nur mal zu überlegen, was einem Staat an Steuergeldern und Wirtschaftskraft verloren geht, wenn eine Person arbeitslos ist. So eine Rehabilitationdmaßnahme würde sich schon nach nur wenigen Jahren im Berufsleben wieder rentieren.

Wie würdet ihr euch entscheiden, wenn euch jemand so eine Pille vor die Nase halten würde? Wenn euer Leben vielleicht grade nicht so läuft, wie ihr es euch vorgestellt habt? Würdet ihr zugreifen und das Risiko eingehen? Besonders in Hinblick auf die Unbeteiligten, die dann wohl auf einige Erinnerungen verzichten müssen erscheint das beinahe Egoistisch, nicht?
Oder würdet ihr doch lieber darauf verzichten und versuchen ohne so ein Programm euer Leben wieder zu richten? Oder doch einfach weiter aus Bequemlichkeit arbeitslos bleiben?

Ich wüsste tatsächlich nicht, wie ich mich entscheiden würde. Ein Jahr lang aus meinem jetzigen Leben herausgerissen zu werden kann ich mir nur schwer vorstellen, obwohl meine Neugier an so einer außergewöhnlichen Möglichkeit vermutlich auch noch ein Wörtchen mitzureden hätte… Jedenfalls hoffe ich auf eine zweite Staffel von ReLIFE, was nicht mal sonderlich unwahrscheinlich ist, in Anbetracht des doch recht abrupten Endes der bereits erschienenen Staffel und des Mangas, der über die Geschehnisse des Animes hinaus weiter geht. Nicht zuletzt war ReLIFE doch recht erfolgreich, also gibt es 2017 eine zweite Staffel! … Sag ich jetzt mal so.

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Ein Kommentar

  1. Es gibt ein Buch mit ähnlicher Problematik, gedankenreich geschrieben. Es heisst Tempograd von Georgij Gurewitsch. Da gibt es eine Stadt namens Tempograd, die um einige Potenzen verkleinert würde, in der dann aber auch die Zeit schneller läuft. Ein Tag hier ist ein Jahr in Tempograd. Sehr praktisch, wenn man bis nächste Woche seinen Doktor machen möchte, ist dann aber nächste Woche auch sieben Jahre älter. Mehr möchte ich nicht verraten. Es hat mich damals sehr beruehrt, hab lange über die Entscheidungen des Protagonisten nachgedacht und war mir nie sicher, ob ich nicht denselben Fehler gemacht hätte.

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